Jugend
- Anja Niedringhaus, 2012
Foto © Deutsche Börse AG
Mit zwei Geschwistern aufgewachsen, begann Anja Niedringhaus mit 17 Jahren für die Lokalredaktion der Neuen Westfälischen Zeitung in ihrer Heimatstadt zu arbeiten. Ihr erster Auftrag war ein Bericht über das 40jährige Dienstjubiläum eines Beamten mit Foto. Zur Fotografie gebracht hat sie ein Freund ihrer Eltern, der Chefredakteur der Zeitung war und gerne fotografierte. Er erweckte in ihr dieses Feuer für die Fotografie, das bis heute in ihr brennt. „Bei mir ist, seit dem ich zwölf bin, nichts anderes im Kopf: Ich wollte fotografieren.”
Fotoreporterin
Nach dem Abitur ging sie für die Kindernothilfe nach Indien und erlebte das erste Mal wirkliches Elend. Danach studierte sie Lehramt an der Universität Göttingen und schrieb für das Göttinger Tageblatt. Aber zur Fotoreporterin wurde sie erst, als sie Bilder von einer Schulbesetzung vorlegte und der Chef vom Dienst daraufhin die erste Seite neu gestaltete - mit ihren Fotos. Sechs Jahre war sie freie Mitarbeiterin beim Göttinger Tageblatt, dann holte sie die Bildagentur epa, bei der sie als erste Frau fest angestellt wurde.
Nach zwei Jahren Sport- und Gesellschaftsfotografie wird sie 1992 von der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) nach Sarajewo in den Jugoslawienkrieg geschickt. Seither war sie an vielen Kriegs- und Krisenschauplätzen dieser Welt zu finden: Palästina, Afghanistan, Pakistan, Kuweit, Irak und Lybien.
Ihr wohl berühmtestes Foto gelingt ihr im November 2003 in Bagdad, als beim traditionellen Truthahnessen plötzlich der damalige Präsident George W. Bush auf der Feier auftaucht, streng geheim unter großen Sicherheitsvorkehrungen eingeflogen. Als er nach dem Tablett mit dem Truthahn greift, drückt Anja Niedringhaus als Einzige auf den Auslöser.
Pulitzerpreis
2005 erhält sie als erste deutsche Frau den Pulitzerpreis in der Kategorie Nachrichtenberichterstattung für ihre Berichterstattung aus dem Irak sowie den International Women's Media Foundation Courage in Journalism Award (IWMF). 2008 wird sie mit der „Goldenen Feder”, dem Medienpreis der Bauer Verlagsgruppe, für ihre „eindrucksvolle Bildberichterstattung aus den Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt” ausgezeichnet. Beim 2011 erstmals vergebenen Abisag-Tüllmann-Preis für künstlerischen Fotojournalismus erhält sie gemeinsam mit Nathalie Mohadjer den 1. Preis. Mit diesem Preis werden bildjournalistische Arbeiten ausgezeichnet, die neben ihrer dokumentarischen Bedeutung auch einen künstlerischen Wert besitzen.
„Ja, das bin ich oft gefragt worden, warum ich das mache. Ich weiß auch nicht so recht. Am Anfang war ich sehr naiv. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, daß eine Kugel verwunden kann. Bis ein Kollege neben mir erschossen wurde. Kopfschuß durch einen Scharfschützen bei Sonnenwetter. Man lernt dann schnell. Nach ein paar Monaten konnte ich in fünf Minuten einen Reifen wechseln.” (Anja Niedringhaus, Fotografin)
Kriegsfotografin
Anja Niedringhaus ist sich des Risikos und der Gefahren ihres Berufs durchaus bewußt. Mehrmals geriet sie unter Beschuß, 2010 mußte sie nach einem Handgranaten-Angriff auf eine Soldatenpatrouille in einem afghanischen Dorf von Granatsplittern verletzt ausgeflogen werden. Trotzdem möchte sie nicht aufgeben, hat keine Zweifel an ihrer Mission - dem Fotografieren: „Ich hätte nichts Anderes machen wollen.” Aber mit der Erfahrung ist sie vorsichtiger geworden. Und zu Ausgleich fotografiert sie so oft wie möglich bei Sportereignissen, besonders gerne beim Tennis in Wimbledon. Und wenn sie kann, zieht sie sich in das alte Forstamt bei Kassel zurück, lebt bodenständig und idyllisch mit Nachbarn, der Familie ihrer Schwester und deren Kindern.
Die Kamera ist ihr Schutz, ihre Bilder sind eine Aufforderung, den Krieg zu stoppen Und wenn sie den Krieg auch nicht mit Fotos stoppen kann, will sie wenigstens zeigen: Er ist immer noch da, aber er darf nicht alltäglich werden.
„Ich glaube, ich habe die Aufgabe - oder wir haben alle die Aufgabe - zu informieren. So gut und so ehrlich wie wir können. Ich habe damals gedacht, man könnte vielleicht mit Fotos einen Krieg stoppen.” (Anja Niedringhaus)
Khost/Afghanistan
Am 4. April 2014 wurde Anja Niedringhaus in Banda Khel in der afghanischen Provinz Khost von einem Polizisten erschossen. Angeblich war er Kommandeur eines Checkpoints vor dem Büro des Distrikt-Gouverneurs. Gemeinsam mit der kanadischen Journalistin Kathy Gannon war sie zunächst mit einem von Armee und Polizisten beschützten Wahlkonvoi im Norden Afghanistans unterwegs gewesen und dann mit einem einheimischen Fahrer weiter Richtung Tanai an der pakistanischen Grenze gefahren. Der Konvoi hatte Wahlzettel zu den entlegenen Wahllokalen gebracht.
Anja Niedringhaus war sofort tot, Kathy Gannon wurde schwer verletzt. Beide waren für die US-Nachrichtenagentur Associated Press unterwegs und wollten in Tanai die Wahlen vom 5. April beobachten.
Das oberste Gericht wandelte im März 2015 das Todesurteil gegen den Polizisten in eine langjährige Haftstrafe um. Er hatte als Motiv für die Ermordung von Anja Niedringhaus Rache für Angriffe der NATO angegeben.
Kathy Gannon konnte ihre Arbeit mittlerweile wieder aufnehmen.
Anja-Niedringhaus-Preis
Als Andenken und Ehrung lobte die International Women’s Media Foundation (IWMF) Mitte April 2014 den mit 18.000 Euro dotierten Anja-Niedringhaus-Preis aus. Dieser Preis wird jährlich an Fotojournalistinnen vergeben, die sich durch außergewöhnliche Tapferkeit bei der Berichterstattung engagieren:
- 2015 - Heidi Levine (USA)
- 2016 - Adriane Ohanesian (USA)
- 2017 - Stephanie Sinclair (USA)
- 2018 - Andrea Bruce (USA)
- 2019 - Eloisa Lopez (PHL)
- 2020 - Masrat Zahra (Kaschmir)
- 2021 - Fatima Shbair (Palestina)
- 2022 - Paula Bronstein (USA)
- 2023 - Laurence Geai (Frankreich)
- 2024 - Samar Abu Elouf (Palestina)