(Como Polvo en el Viento., 2020)
514 S., ISBN: 978-3-293-00579-2
Zürich: Unionsverlag, 2022
Bewertung
Rezension
Staub im Wind - bis zum endgültigen Sieg.
Elisa, Clara, Darío, Bernardo, Horacio und Irving haben einander in der Schule oder der Universität kennengelernt. Sie bilden den Clan
, zu dem am Rande auch Liuba und Fabio sowie Walter gehören. Das Haus Claras in Fontanar, deren Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen, ist der Treffpunkt. Hier wird gefeiert, entstehen Liebesbeziehungen.
Sie sind die Generation der Revolution, glauben an den endgültigen Sieg des Kommunismus. Vor ihnen liegt ein erfülltes sozialistisches Leben.
Einsätze bei der Zuckerrohrernte, Schlange stehen, Kämpfen und Sterben in fernen Kriegen. So viele, eigentlich fast alle, sagte sich Clara, hatten den Gesellschaftsentwurf, an dem sie teilhatten, nicht nur akzeptiert. Sie glaubten daran, (…) sie waren überzeugt von alldem, weil ihnen nur so, wie Bernardo verkündete, eines Tages der endgültige Sieg beschert würde. Das Ende der Geschichte in Gestalt der vollkommenen Gesellschaft, ein wundervolles Universum aus lauter Gleichen.
Doch dann stürzt Walter von der Dachterrasse im 18. Stock eines Hochhauses. Mord-Selbstmord-Unfall? Spionierte Walter, eine verkrachte Malerexistenz, sie aus? Und was hat Elisa damit zu tun, die kurz nach Walters Tod spurlos verschwindet?
Der Fall der Berliner Mauer, der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Sonderperiode in Friedenszeiten
zerstören die Hoffnungen und Illusionen. Die Freunde sehen keine Zukunft mehr in Cuba und verlassen das Land, sobald sie die Möglichkeit haben. Es ist eine Diaspora der Freunde, die auch in den Romanen um El Conde immer wieder aufgegriffen wird. Sie führt nach Miami, Madrid, Barcelona, Puerto Rico, New York oder Buenos Aires. Doch das Exil ist für die meisten ein Trauma, sie bleiben im Herzen Kubaner.
Nur Clara und Bernardo bleiben zurück. Clara postet ein mehrere Jahrzehnte altes Foto der Gruppe auf ihrem Facebook-Account. Er führt die Freunde zum Jahreswechsel 2015 fast alle wieder in Claras Villa zusammen, und sie sich bemühen, die Erinnerungen an die gemeinsame Jugend wieder aufleben zu lassen. Und bald werden einige noch offene Fragen eine Antwort finden.
Fazit: Mit dem Roman setzt Leonardo PADURA der in den 1950er-Jahren geborenen Generation, seiner Generation, ein literarisches Denkmal. Umfassender als in seinen bisherigen Romanen beschreibt er ihre Hoffnungen und Lebenserwartungen - und die tiefe Enttäuschung, in die sie am Ende münden. Aber es ist keine politische Kritik am System, denn auch er kennt seine Grenzen. Und er möchte in seiner Heimat bleiben.
Es ist ein sehr komplexer, durch die Zeit- und Ortswechsel nicht leicht zu lesender Roman. Die Schicksale des eher umfangreichen Personals sind nicht einfach im Auge zu behalten, und gelegentlich gibt es einige Längen. Es ist vielleicht nicht der beste Roman Paduras, er fordert seine Leser/innen. Aber am Ende wird man mit einem umfassenden Blick auf das Cuba einer sozialistischen Illusion belohnt - die trotz allem nicht unterzugehen scheint.
Als dieses als Normalität verkleidete prekäre Gleichgewicht, an das sie sich gewöhnt hatten, zusammenbrach, wurden sie auf äußerst unsanfte Weise aus der Bahn geworfen. Auf einmal sahen sie ihr Leben und ihre Welt mit ganz anderen Augen. Jahrzehntelang waren sie folgsam immer nur in ein und dieselbe, von anderen vorgegebene Richtung gegangen. Nun wurden sie in alle Winde auseinandergetrieben.
Deshalb konnte Clara die, welche fortgingen, verstehen, selbst wenn sie nach dem Abnehmen der Masken ihren früheren Überzeugungen abschworen, um schon bald neue, manchmal genau entgegengesetzte zu verkünden. War das nicht menschlich? Chamäleonhafter Farbwechsel, Verrat, Opportunismus, aber auch durch die Enttäuschung bewirkter ehrlicher, offenherziger Wandel ...